Donnerstag, 20. März 2008

Über einen Boykott nachdenken


In 4 Tagen ist es soweit. Dann wird im altehrwürdigen Zeus-Heiligtum Olympia auf dem Peloponnes wieder einmal das Olympische Feuer entzündet. Dieses Symbol des olympischen Gedankens wird sich von dort aus auf eine gut 8.000 Kilometer weite und 137 Tage währende Reise begeben, ehe es am 8. August im Nationalstadion von Beijing feierlicher Mittelpunkt der Eröffnungsfeier der XXIX. Olympischen Sommerspiele sein wird.

An jenem 24. März, dem Tag des olympischen Feuermachens, wird es, davon ist auszugehen, auch in Tibet nachwievor brennen. Und in Xinjiang sowieso. Und die chinesische Führung wird darauf so reagieren, wie sie immer reagiert hat, wenn sich wieder einmal plötzlich der Zorn des Volkes angesichts der Unterdrückung Bahn gebrochen hat: mit brutaler Gewalt. "Wir befinden uns mitten in einem heftigen Kampf aus Blut und Feuer, einem Kampf auf Leben und Tod mit der Clique des Dalai". (KP-Tibet-Chef Zhang Quingli). Wahrhaft ein dämonischer Gegner, dieser Dalai Lama (ein "Wolf in Mönchsrobe", "Teufel mit dem Antlitz eines Menschen" - wieder Herr Zhang)! Versteckt sich da in seinem indischen Exil und schwafelt pausenlos etwas von Dialog und gewaltlosem Widerstand! Dagegen die chinesische Regierung: seit Jahrzehnte bemüht sie sich redlich darum, den tiefen Süden ihres Reiches, der ihr 1950 mal irgendwie "zugefallen" ist, zu zivilisieren! Weg mit der rückständigen tibetischen Kultur, her mit dem fleißigen, gleichgeschalteten Han-Chinesentum! Ja, es ist fürwahr ein Kampf auf Leben und Tod. Und zwar für die Tibeter.

Irgendwelche Gutmenschen sind dann doch tatsächlich auf die Idee gekommen, angesichts der Situation in Tibet (und anderswo im Reich der Mitte) und der nachwievor beharrlichen Weigerung der Beijinger Regierung, die Existenz von so etwas wie Menschenrechten auch nur ansatzweise anzuerkennen, ein ganz böses Wort in den Mund zu nehmen. Plötzlich war es da, das schlimme Wort, und rauschte durch den Blätterwald, und keiner wollte es so recht gewesen sein. Das Wort war "Boykott".

Rasch beeilte man sich, das böse Wort zu bannen. Staatskanzleien setzten sich in Bewegung, Experten von Menschenrechtsorganisationen eilten herbei, der Feuilleton raschelte erregt, Sportverbände feuerten Presseaussendungen hinaus. Ein Boykott der Spieles sei der völlig falsche Weg, hiess es da, er sei "kontraproduktiv". Der Sport habe mit der Politik doch gar nichts zu tun. Es sei falsch, die "unschuldigen Athleten" für das Betragen der chinesischen Führungsclique abzustrafen (Jacques Rogge, IOC-Präsident).

Bevor das passiert, feiern wir natürlich lieber ein Fest des Friedens, der Freundschaft, der Humanität und der Einheit, während rundherum Menschen in Lager gesteckt und abgeschlachtet, Dissidenten eingesperrt, Volksgruppen durch systematische Siedlungspolitik ausgelöscht, religiöse Bewegungen verfolgt und Millionen von Wanderarbeitern für einen Hungerlohn und ohne jede soziale Absicherung ausgebeutet werden!




Im Juli 2001, als die Spiele auf Betreiben des alten Franco-Faschisten Samaranch an seine Kumpels in Beijing vergeben wurden, machte man sich noch berechtigte Hoffnung, dass das China des Jahres 2008 ein anderes, ein besseres sein würde. Weniger weil die politisch Verantwortlichen dies damals scheinheilig versprachen oder weil man einer Olympiade derartige magische Kräfte zubilligen würde (bei Hitler, Mussolini, Breschnew und Diaz Ordaz hats ja auch eher nicht funktioniert), sondern weil man einfach an eine rasche gesellschaftliche Verwandlung des Riesenreiches im Gefolge des wirtschaftlichen Wandels glaubte. Wenn nun manchmal behauptet wird, dass dieser Wandel zum Besseren tatsächlich eingetreten sei, und das insbesondere aufgrund der Spiele, so ist das blanker Euphemismus. Es ist vielmehr so, wie die "Reporter ohne Grenzen" unlängst bitter feststellten, dass die Spiele vom Regime letztlich sogar als Vorwand benutzt wurden, um noch härter gegen seine Gegner vorzugehen. Denn alles, was das reibungslose Funktionieren der größten Sportveranstaltung der Welt zu gefährden im Stande ist, wird in China zum Staatsfeind erklärt und ergo bekämpft.

Schließlich sind die Olympischen Spiele eine einmalige Gelegenheit für die Machthaber in Beijing, sich selbst, ihre Partei und ihren Staat zu feiern. Und zu beweisen, dass man im Reich der Mitte tun und lassen kann was man will: die Demokratiebewegung niederdrücken, die Hinrichtungszahlen auf neue Rekordhöhen schrauben und dann auch noch gewinnbringend die Organe der Exekutierten verkaufen, die olympischen Wettkampfstätten von dem Verhungern nahen, aber dennoch rund um die Uhr schuftenden, Arbeitern errichten lassen, die mit Glück einen Bruchteil des versprochenen Lohnes zu Gesicht bekommen, Kirchen und Religionsgemeinschaften zu verfolgen und ihre Mitglieder einzukerken, wenn sich diese weigern, Weisungen von der KPCh anzunehmen, die eigene Bevölkerung von Teilen des Internets abzuschneiden, die mörderischsten Regimes des Planeten (Burma, Nordkorea und den Sudan) zu stützen, Taiwan mit der Vernichtung zu bedrohen. Und dabei immer noch von aller Welt hofiert zu werden. China ist schließlich groß und mächtig, und auf den chinesischen Markt wollen wir doch alle! Mit denen verscherzt man es sich nicht. Das wird auch der Grund sein, warum manche olympische Komitees ihre Athleten vertraglich verpflichtet haben, sich nicht zur Menschenrechtslage in China zu äussern..

In diese Richtung gehen wohl auch die witzigen Argumente des Kommentators der liberalen ZEIT, wenn er etwa meint, dass man die Großmacht China doch brauche, um Krisen wie in Nordkorea oder Darfur (Burma fehlt noch) zu bewältigen. Na klar! Wenn einer selber ständig Probleme produziert, dann muss er auch der Schlüssel zur Lösung dieser Probleme sein!!



Ist es angesichts von all dem nicht eine verlockende Vorstellung, dass da einer aufsteht und in Richtung der chinesischen Bonzen zumindest die folgende Botschaft übermittelt: "Gut, wir haben euch eine Vertrauensvorschuss gegeben. Aber, wir sind mit dem Ergebnis nicht ganz zufrieden. Wir empfinden es als nicht angemessen, jetzt bei euch ein fröhliches Sportfest zu veranstalten, während ihr dem tibetischen Volk einen ´Kampf auf Leben und Tod´ antragt ! Bitte zeigt uns, das ihr es nicht zur Eskalation kommen lassen werdet !" Wäre alles andere in Wahrheit nicht äusserst unappetitlich?

Ich sage keineswegs, dass der Zeitpunkt für explizite Boykottdrohungen unbedingt schon jetzt gekommen ist. Wir wissen vielleicht noch zu wenig über die Situation in Tibet (was auch daran liegt, dass China dort offensichtlich keine unabhängige Berichterstattung schätzt..). Wir wissen auch nicht, in welche Richtung sie sich bewegen wird.

Dies aber schon jetzt für die Zukunft auszuschließen und somit auf dieses Atout im Ärmel zu verzichten, erscheint in der gegebenen Situation als reichlich töricht. Das es überdies moralisch ausgesprochen fragwürdig ist, versteht sich von selbst.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Warum soll ich wegen ein paar Menschenrechtsverletzungen, deren Vorhandensein damals bei der Vergabe sowieso völlig vorhersehbar war, auf 2 Wochen hervorragenden Fernsehsport verzichten?

Dieses Boykott würde tatsächlich in die völlig falsche Richtung gehen, denn es würde mich mindestens genau so hart treffen wie die chinesische Regierung.

Ein Winzer hat gesagt…

Nicht schlecht. Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Dann wäre der pädagogische Effekt eines Boykottes ja sogar ein doppelter!! ;)

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